Die andere Straßenseite 
Acryl auf Leinwand 
150 x 180cm 
(2014)

Das großformatige Gemälde Die andere Straßenseite ist eine dichte, sozialkritische Szenenkomposition, in der sich menschliche Schicksale, Ignoranz und politische Botschaften auf bedrückende Weise überlagern.

Im Vordergrund steht ein alter Mann mit grauem Haar, der in einem überquellenden, orangefarbenen Mülleimer wühlt. Sein Mantel wirkt abgetragen, seine Haltung gebeugt. Neben ihm sitzt eine bettelnde Frau auf dem Gehweg – mit verschränkten Beinen, den Blick nach unten gerichtet. Sie trägt ein dunkles Gewand und Kopftuch; ihre Hand hält eine leere Pappschale. Beide wirken resigniert und vergessen.

Ein brauner Hund steht am Bildrand, schaut aufmerksam nach vorn, während Tauben auf dem Boden nach Essbarem picken – darunter Reste einer McDonald's-Tüte. Ein Symbol für Konsum, Wegwerfgesellschaft und soziale Verwahrlosung.

Im Hintergrund prangt ein heruntergekommener Laden mit heruntergelassener Rollade. Die Werbefläche deutet auf einen ehemaligen Bäcker, nun überklebt mit Wahlplakaten. Auf einem SPD-Plakat steht: „Weil Wirtschaft Maß und klare Regeln braucht“ – eine Floskel, die in ihrer Kälte und Ferne zu den gezeigten Menschen eine sarkastische Wirkung entfaltet. Ein anderer Zettel kündigt an: „Ladenlokal zu vermieten“ – ein weiteres Zeichen von Zerfall und Leere.

Im Mittelpunkt des Bildes steht ein Kind mit verwuscheltem Haar und einem grünen Shirt. Es blickt den Betrachter direkt an, hält beide Hände vor den Mund – eine Geste zwischen Schock, Unsicherheit und stillem Appell. Die Augen des Kindes sind groß, wach, traurig. Es scheint Zeuge der Szene zu sein und gleichzeitig ihr emotionales Zentrum. Die Figur fungiert als Brücke zwischen den Welten – sichtbar, aber nicht gehört.

In krassem Kontrast dazu stehen zwei stilisierte Frauenfiguren in Graustufen, mit Sonnenbrillen und Einkaufstaschen. Ihre Körperhaltung wirkt lässig, fast abweisend – sie scheinen an der Wand zu lehnen, aber auch symbolisch „unbeteiligt“. Diese Menschen leben in einer anderen Realität: wohlhabend, abgeschnitten, visuell entmenschlicht. Zwischen ihnen und dem Kind klafft eine emotionale und soziale Lücke.

Die Wand hinter ihnen ist verwittert und mit Graffiti beschmiert. Darauf stehen aggressive, gesellschaftspolitische Botschaften: „Nazis raus“ und „Bullshit Motherfucker“ – Ausdruck einer Wut, die sich keinen eleganten Ausdruck mehr gönnt.

Die andere Straßenseite ist ein schonungsloses Gesellschaftsporträt, das alltägliche soziale Spaltung sichtbar macht – dort, wo sie sonst übersehen wird. Der Titel suggeriert, dass es genügt, die Straßenseite zu wechseln, um das Elend nicht mehr wahrzunehmen. Doch das Bild konfrontiert uns unweigerlich mit der Frage: Wo stehen wir? Auf welcher Seite?

Die Komposition des Bildes nutzt klare räumliche Trennungen, um soziale Gegensätze zu inszenieren: links das Prekariat, mittig das Kind als seismografisches Gewissen, rechts die saturierte, unberührte Mittel- oder Oberschicht. Dabei wird nicht bloß Elend dargestellt, sondern auch Ignoranz – und die Frage nach Verantwortung.

Die politische Botschaft ist vielschichtig:

  • Das Wahlplakat spricht von Ordnung und Wirtschaft – während die Realität im Bild Chaos und Mangel ist.
  • Die Frauen in Graustufen wirken entrückt und leer – als hätten sie das Leben um sich herum ausgeblendet.
  • Das Kind in Farbe hebt sich als einzige direkte Verbindung zum Betrachter ab – es ist nicht stumm, aber verstummt, durch das, was es erlebt.

Auch die Farbwahl spielt eine zentrale Rolle: Die reale Armut ist farbig und lebendig – die soziale Kälte dagegen grau und glatt. In dieser Umkehrung steckt ein zentrales Motiv: Nicht das Elend ist tot, sondern unser Blick darauf.

Die Graffiti-Schriftzüge drücken die aufgestaute Wut derer aus, die nicht gesehen werden. Der zynische Konsum (McDonald's-Reste, Wahlplakate) steht in zynischem Kontrast zum Hunger, der dargestellt wird.

Die andere Straßenseite ist ein aufrüttelndes, vielschichtiges Werk, das soziale Kälte, Wegschauen und systematische Verdrängung in den Mittelpunkt stellt. Es stellt keine Opfer aus, sondern zeigt Strukturen. Es ruft nicht zur Mitleidsgeste auf, sondern zwingt zur Reflexion: Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich an Elend gewöhnt – solange es auf der anderen Straßenseite bleibt?

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