Alles mach neu

In seinem monumentalen Werk „Alles mach neu“ entwirft Angelo Circolone einen Innenraum, der sich visuell und inhaltlich im Schwebezustand zwischen Auflösung und Erneuerung befindet. Die gedämpfte Farbpalette – vorwiegend warme, erdige Töne mit kräftigen Kontrasten – betont den Charakter des Übergangs. Die Wände sind von Rissen durchzogen, mit abblätternder Farbe und dunklen Spuren gezeichnet – als hätten sie viele Schichten an Leben, Erinnerungen und Vergänglichkeit in sich aufgenommen. Auch der Boden aus gealterten Holzdielen trägt die Geschichte des Raumes mit: Er wirkt zugleich wohnlich und abgenutzt – ein Ort des Wandels.

Neun Mal tritt der Künstler selbst in Erscheinung – in verschiedenen Posen, Haltungen und Handlungen. Diese multiplen Selbstbildnisse verwandeln das Bild in ein Tableau innerer Zustände, Selbstreflexionen und künstlerischer Prozesse. Keine dieser Gestalten dominiert, vielmehr entsteht ein vielschichtiger Dialog zwischen ihnen: ein persönlicher Chor des Wandels.

Ein zentrales Detail ist die Szene im linken Bildbereich, wo eine Figur ein früheres Werk des Künstlers übermalt. Dieser Akt des bewussten Überarbeitens verweigert die radikale Zerstörung des Alten und zeigt stattdessen einen schöpferischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit – Transformation statt Auslöschung.

Auf der rechten Seite steht eine Figur im Künstlerkittel, die zwei symbolträchtige Gegenstände trägt: In ihrer rechten Hand hält sie ein Schriftstück – eine persönliche Botschaft, deren Inhalt verborgen bleibt, aber als innerer Leitfaden spürbar wird. Ihre linke Hand birgt einen Skorpion – ein doppeldeutiges Symbol: Er steht für Gefahr, Schmerz und Vergänglichkeit, zugleich aber auch für Überlebenskraft und Wandlungsfähigkeit. Diese ambivalente Geste verleiht dem Bild eine existentielle Tiefe: Transformation ist nicht ohne Risiko – sie fordert Konfrontation mit dem Unbekannten.

Besonders eindrucksvoll ist eine Figur, die kopfüber von der Decke hängt, eingefasst in einen Kokon. Wie eine im Übergang gefangene Raupe verweist sie auf den Zustand des Noch-nicht-Fertiggewordenen – auf das fragile, verletzliche Moment zwischen zwei Identitäten. Über ihr schwebt eine Leiter in den Raum hinein – klassisches Symbol für Entwicklung, Aufstieg und Entscheidung.

Im Zentrum des Raumes sitzt eine weitere Figur auf einer Couch – sie trägt eine Theatermaske, wie man sie aus der antiken Tragödie oder Komödie kennt. Diese Maske deutet auf das Spiel mit Rollen und Identitäten, auf Inszenierung, auf Distanz zur eigenen Authentizität. Interessanterweise wird genau diese maskierte Figur von einer anderen übermalt – als würde eine Version des Selbst ausradiert oder korrigiert. Eine kraftvolle Metapher für das bewusste Ablegen alter Rollen, Narrative oder Selbstbilder.

Im Hintergrund schließlich öffnet sich eine Tür. Licht fällt in den Raum und unterstreicht die Möglichkeit eines Neuanfangs. Die Tür bleibt jedoch vage – sie verspricht nichts, sie fordert keine Entscheidung. Sie steht offen – für neue Wege, für das Unbestimmte, für Zukunft.

Fazit

„Alles mach neu“ ist mehr als ein Selbstporträt – es ist ein psychologischer Innenraum, in dem sich persönliche Geschichte, künstlerischer Prozess und existenzielle Fragestellungen überlagern. Circolone zeigt sich nicht als fertige Figur, sondern als sich wandelndes Wesen, das sich mit dem Eigenen auseinandersetzt, alte Hüllen übermalt, maskierte Rollen ablegt und dennoch das Risiko der Veränderung annimmt.

Der Titel ist Programm: Er ist keine Anweisung, sondern ein Angebot. Was neu wird, bleibt offen – doch der Raum dafür ist geschaffen.

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